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Vom Künstlerroman zum Kunstroman

Jan Stottmeister: Vom Künstlerroman zum Kunstroman. Fiktive Künstler und ihre Kunstwerke in der erzählenden Literatur. Baden-Baden: Ergon Verlag, November 2021. 640 Seiten, 4 Abb., Hardcover, 98 €

Wie stellt die erzählende Literatur das Schaffen fiktiver Künstler dar? Aus dieser Frage entwickelt die Studie ein grundsätzlich neues Verständnis der internationalen Geschichte des Künstlerromans von seinen Anfängen im späten 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Das Erzählen über fiktive Künstler lässt sich demnach in zwei Phasen teilen, die jeweils bestimmte historische Ursachen haben: eine erste Phase, die sich auf die persönlichen Konflikte malender, dichtender und komponierender Hauptfiguren konzentriert, und eine zweite, in den 1940er Jahren einsetzende Phase, in der Autoren wie Vladimir Nabokov und Thomas Mann den Fokus von den Künstlersubjekten auf Imaginationen ihrer Kunstobjekte verlagern und den Künstlerroman nachhaltig verwandeln.

Als "summa cum laude"-Dissertation verteidigt im Juli 2019 an der Humboldt-Universität Berlin (Erstgutachter: Prof. Dr. Ernst Osterkamp, Zweitgutachterin: Prof. Dr. Claudia Stockinger)

Aus dem Erstgutachten von Ernst Osterkamp:

"... wie Nabokov und Mann in der Geschichte des Künstlerromans eine entscheidende Zäsur gesetzt haben, so hat Stottmeister nun in der Forschungsgeschichte zum Künstlerroman eine markante Zäsur gesetzt. Dass die Arbeit an dieser Dissertation einen Zeitraum von zwölf Jahren beanspruchte, hat seinen Grund u. a. darin, dass sich der Verf. dazu entschlossen hatte, seine Arbeit durch ein weiteres Buchprojekt zu unterbrechen; das hieraus hervorgegangene große Buch Der George-Kreis und die Theosophie (2014) schaffte es sofort auf die Sachbuch-Bestenliste. Trotz ihrer zerklüfteten Entstehungsgeschichte ist die nun vorliegende Dissertation von einer beeindruckenden konzeptionellen, argumentativen und stilistischen Geschlossenheit; ich zögere nicht, sie eine meisterhafte literaturwissenschaftliche Leistung zu nennen – meisterhaft nicht nur in der stofflichen Beherrschung und methodischen sowie argumentativen Durchdringung ihres umfangreichen Materials, sondern auch in ihren stilistischen Qualitäten: einer begrifflich reich ausdifferenzierten und völlig jargonfreien Wissenschaftsprosa, die den Leser nie vergessen lässt, dass hier von Kunstwerken die Rede ist. Die Lektüre dieser Dissertation ist ein pures Vergnügen."


How do novels and stories about fictional artists describe their art? This question leads to a completely new understanding of the history of the artist novel from its beginnings in late 18th c. German fiction to its intercontinental present. The study reveals that this history has two distinct phases: a first phase in which artist novels were focussed on the personal predicaments of their protagonists but rarely described the paintings, writings, or compositions these artist figures produced, and a second phase that reverses this genre tradition. In the 1940s, authors like Vladimir Nabokov and Thomas Mann re-invented the artist novel by giving detailed descriptions of imaginary oeuvres and letting the subject of the artist vanish behind the work.

From Artist Novels to Art Novels includes chapters on novels and stories by authors like Goethe, Tieck & Wackenroder, de Stael, Balzac, Zola, Rolland, Hamsun, James, Maugham, Pirandello, Borges, Aub, Updike, Perec, DeLillo, Calvino,  Bolaño, Hustvedt, Auster, Byatt, Boyd, Mitchell, and many others.


ISBN 978-3-95650-872-1 (Print)
ISBN 978-3-95650-873-8 (ePDF)


Der George-Kreis und die Theosophie

Jan Stottmeister: Der George-Kreis und die Theosophie. Mit einem Exkurs zum Swastika-Zeichen bei Helena Blavatsky, Alfred Schuler und Stefan George. Göttingen: Wallstein Verlag 2014 (Castrum Peregrini, Neue Folge, Band 6). 432 Seiten, 16 Abb., Hardcover mit Schutzumschlag, 39,90 €

Die „dicken Folianten der dicken Madame“ – für den Dichter Stefan George waren sie in den 1920er Jahren eine unerwünschte Lektüre, mit der sein Kreis von Jüngern und Verehrern sich nicht abzugeben hatte. Mit der dicken Madame meinte er Helena Blavatsky, die legendenumwitterte Gründerin der Theosophical Society, deren Ländersektionen und Logen sich zu diesem Zeitpunkt von Indien aus über alle Kontinente verbreitet hatten. Die Theosophie, wie Blavatsky ihre Lehren nannte, vermengte indische Religionen und europäischen Okkultismus zu einer religiös grundierten Weltanschauung, die in den Jahrzehnten um 1900 vor allem unter Künstlern, Intellektuellen und sozialen Eliten begeisterte Anhänger fand.

Stefan Georges abfällige Äußerungen über Madame Blavatsky hatten eine komplizierte Vorgeschichte. Denn die kulturellen Wirkungen der Theosophie auf die westliche Moderne prägten auch in bislang unbekanntem Ausmaß den George-Kreis, der wiederum die deutsche Kulturgeschichte nachhaltig beeinflusste. Verbindungen zur Theosophie sind nachweisbar in der Symbolik, mit der Georges Buchgestalter Melchior Lechter die Publikationen des Kreises versah, und im Mitgliedsregister der Theosophical Society, das neben Lechter auch Karl Wolfskehl und andere George-Anhänger verzeichnet. Die Theosophie hinterließ ihre Spuren in der Vorstellungswelt des „Kosmikers“ Alfred Schuler, der George tief beeindruckte, und in der Biografie des Kunstphilosophen Max Dessoir, der Georges Gedichte erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte. Sie bestimmte die Inhalte einiger okkultistischer Zeitschriften in Georges Bibliothek und das Programm von Verlegern, zu denen George vor der Jahrhundertwende Kontakt aufnahm.

Der Komponist und Autor Cyril Scott, der Georges Gedichte vertonte und ins Englische übersetzte, wurde im Verlauf ihrer anderthalb Jahrzehnte dauernden Beziehung ein überzeugter Theosoph. Der George-Verehrer Alexander von Bernus beendete die kurze Phase ihrer Bekanntschaft mit seiner Hinwendung zu Rudolf Steiner, dem Leiter der deutschen Sektion der Theosophical Society, der die Theosophie später als Anthroposophie weiterführte. Während Zeitgenossen wie der Philosoph Ernst Bloch versuchten, George gedanklich mit der Theosophie zu vereinbaren, begann George die weltanschauliche Identität seines Kreises ab 1910 durch programmatische Abgrenzungen von der Theosophie zu bestimmen. In der Chronologie dieses Abgrenzungsprozesses spiegelt sich auch das Konkurrenzverhältnis zwischen Georges poetischem Knabengott Maximin und dem theosophischen Knabengott Krishnamurti wider.

Die Geschichte des George-Kreises, so zeigt dieses Buch, ist auch die Geschichte seines Verhältnisses zur Theosophie. Vor dem Panorama der künstlerischen, wissenschaftlichen, religiösen und politischen Entwicklungen der Moderne erzählt das Buch diese Geschichte von den Anfängen bis zum Zerfall des Kreises.

Ein ausführlicher Exkurs untersucht im Anhang eine weitere Verbindung zwischen dem George-Kreis und der Theosophical Society: die Verwendung der Swastika als Erkennungsmarke. Vor dem Hintergrund der westlichen Deutungs- und Verwendungsgeschichten des Zeichens, das heute als NSDAP-Hakenkreuz mit der politischen Symbolik des Nationalsozialismus assoziiert ist, setzen die Kapitel dieses Exkurses sich mit dem Swastika-Verständnis von Blavatsky und Schuler, dem Swastika-Signet der „Werke der Wissenschaft“ des George-Kreises und mit Swastika-Anspielungen in Georges Lyrik auseinander. Im Mittelpunkt steht dabei jeweils die umstrittene Frage, ob die Zeichenverwandtschaft mit der Ikonografie der Nazis auf ideologische Verwandtschaften deutet.

Rezensionen

SZ/NDR-Sachbuch-Bestenliste Oktober 2014

„Jan Stottmeisters Darstellung ist ein Studienbuch, das man nicht so schnell wieder weglegt.“ – Sabine Neubert, Neues Deutschland

„... sprachlich elegant und mit gehaltvollen Fußnoten versehen, nimmt Stottmeisters Werk auch formal für sich ein. Wie er es schafft, eine höchst verwickelte Auseinandersetzung in ihren Ursachen, Stationen und Konsequenzen nicht nur zu erklären, sondern souverän, packend, ja bisweilen amüsant als geistesgeschichtliches Drama zu rekonstruieren, verdient Bewunderung.“ – Johannes Saltzwedel, Rudolf Steiner Archiv Magazin (September 2015)

„Stottmeister’s analyses of this discreet Theosophical presence in works of art are precise, detailed, full of interest, very well informed, and last but not least, written (like the whole book) in excellent prose with a fine sense of subtle humor whenever the occasion calls for it. […] Like all good researchers in the modern study of Western esotericism, Stottmeister gives us a careful deconstruction of ingrained academic myths that have been taken for granted by scholars for generations and have obstructed and distorted our view of historical reality. […] concluding remarks about the question of National Socialism – inevitable in a book like this, given the oft­debated question of how George’s “Secret Germany” is related to the Third Reich – prove to be the upbeat for a truly impressive Appendix of more than seventy pages, devoted to “Helena Blavatsky, Alfred Schuler, Stefan George, and the Western History of the Interpretation of the Swastika Sign” (pp. 327­–398). This appendix should definitely be translated into English as soon as possible. […] Stottmeister provides a sterling analysis of how the swastika symbol adopted from India functioned in the context of Blavatsky’s “race­-theoretical anti­-racism”, followed by equally impressive discussions of Alfred Schuler’s obsession with the symbol and, of course, its appearance in the circle around Stefan George. Any further non­political use of the Swastika became impossible after World War II, of course, for as Stottmeister notes, “historical contextualizations were powerless against this reconditioned visual perception." – Wouter J. Hanegraaff, Creative Reading

„Das zu Recht gelobte Buch von Jan Stottmeister wird also für die George-Forschung ebenso wie die an Rudolf Steiner und seiner Anthroposophie Interessierten eine Fundgrube darstellen; und angesichts der politisch aufgeladenen Symbolik der Swastika, die heute vorwiegend mit dem Nationalsozialismus und Adolf Hitler identifiziert wird, ist es allemal von Belang, was Stottmeister über das 'Swastika-Signet' mitzuteilen hat. […] Indem Stottmeister all diesen Zusammenhängen nachgeht und auch zumindest für den Rezensenten überraschende Aspekte darstellt und analysiert, ist ihm ein kulturgeschichtlich bedeutsames Werk über die Anfänge des 20. Jahrhunderts gelungen.“ – Till Kinzel, IFB

„Stottmeister hat mit 'Der George-Kreis und die Theosophie' eine Fallstudie zur kulturellen Präsenz der Blavatsky’schen Weltanschauung um 1900 vorgelegt. Das Buch ist ungemein materialreich und nicht zuletzt in einer wendigen, subtil ironischen Sprache verfasst, die dem Pathos des George-Sprechs zu begegnen weiß. Wer einen gut lesbaren Einstieg in die neuere Forschung zur Theosophie und ihrer beeindruckend weitverzweigten Wirkungsgeschichte sucht, ist mit diesem Buch gut beraten. Auch die Anthroposophie lernt man aus einer ganz neuen historischen Blickrichtung kennen.“ – Ansgar Martins, Waldorfblog

„Das Verhältnis Georges und seines Kreises zur Theosophie, der ebenso okkultistischen wie obskuren Geheimlehre über die religiös­-kosmologischen Entwicklungsgesetze der Menschheit, die Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) in ihrem umfangreichen Werk zu offenbaren beanspruchte, ist ein besonders seltsames Kulturphänomen, das im dichterischen Schaffen nur höchst verschlüsselt zur Sprache kommt, für dessen Entstehung aber maßgeblicher war als bisher angenommen. Der Aufarbeitung dieser Lehre und ihrer Bedeutung für Werk und Kreis widmet sich Jan Stottmeisters Studie auf bemerkenswerte Weise. […] Argumentativ versteht es Stottmeister, eine Balance zu bewahren zwischen gründlichem Nachvollzug der Verbindungslinien und einer durchaus kritisch­-ironischen Distanz gegenüber dem Meister und seinen Jüngern. Diese Ausgewogenheit ist umso begrüßenswerter, als die George­-Wissenschaft manchmal leider noch von einem unfruchtbaren Konflikt zwischen einfühlender Apologetik und polemischer Pauschalkritik gekennzeichnet ist.“ – Rolf J. Goebel, German Studies Review

"Stottmeister gelingt in seinem in acht Kapitel gegliederten Werk eine nachvollziehbare Darstellung all dieser komplexen Sachverhalte und eine Vermittlung der Bedeutung des Okkultismus zur Zeit Georges." Karl-Heinz Schuck, Junge Freiheit

„Stottmeisters Buch leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Schriften des George-Kreises" und enthält einen „ausführlichen und lehrreichen ‚Exkurs’ (S. 327–98) zur westlichen Deutungsgeschichte des Swastika-Zeichens“. – Franziska Merklin, Arbitrium

"Eine bis jetzt kaum erforschte Konstellation wird in dieser sorgfältig dokumentierten Arbeit beleuchtet. […] Theosophisches Gedankengut nimmt George zunächst einmal als kongenial auf, um sich dann etwa ab 1910 durch eigene Aussagen und publizistische Unternehmungen im Rahmen seines Kreises davon abzugrenzen. Die mythenbildenden Bestrebungen von G.s Lyrik treten mit ähnlichen Zielsetzungen der Theosophie in ein Spannungs- und Konkurrenzverhältnis. […] In den Vordergrund stellt der Verf. die Freundschaft zwischen G. und dem Maler Melchior Lechter, deren Abklingen mit dem wachsenden Einfluss theosophischer Grundsätze auf Lechters Ästhetik in Verbindung gebracht wird." – Maurizio Pirro, Germanistik Bd. 56, Heft 1-2, 2015, S. 244

Siehe auch den Aufsatz von Robert Matthias Erdbeer: Parawissenschaft und Parakunst – Zur Esoterik im George-Kreis. Bemerkungen zu einem aktuellen Forschungsfeld aus Anlass einer Studie von Jan Stottmeister. In: George-Jahrbuch Band 11 (2016/17), S. 309–22